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Wie Neurofeedback das Erinnerungsvermögen verbessern kann

18. März 2021

In dem heutigen Blogpost geht es um … ähm… lassen Sie mich nachdenken...Ach ja! Vergesslichkeit. Wir alle kennen das: Termin beim Zahnarzt vergessen, das Auto auf dem Parkplatz suchen müssen und der Geburtstag von Oma war… gestern - vergessen. 

Warum wir Dinge vergessen und wie Neurofeedback das Erinnerungsvermögen verbessern kann, erklären wir in diesem Blogpost. Dabei gehen wir auch auf eine Studie der Universität des Saarlandes ein, in der mit mehrtägigem Neurofeedback Training das Erinnerungsvermögen von Testpersonen langfristig verbessert werden konnte.

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Warum vergessen wir Dinge? 


Die Frage scheint trivial, die Antwort ist es jedoch nicht. Vergessen wird oftmals als Gegenstück zum Erinnern und Fehlleistung des Gehirns wahrgenommen, dabei ist Vergessen eine elementare Hirnleistung. Um uns an verändernde Umweltbedingungen anzupassen, müssen wir Neues lernen, aber eben auch Altes vergessen oder Umlernen. Über den Mechanismus des Vergessen lernen wir, Unwichtiges von Wichtigem zu trennen.

Wir vergessen im übrigen nicht nur nur deklarative Fakten und episodische Inhalte unseres Gedächtnis - beispielsweise Wissen aus der Schulzeit oder Erinnerungen an unseren ersten Geburtstag - besonders bei der Sinneswahrnehmung ist das Löschen von Eindrücken wichtig, um einen funktionierende Wahrnehmung des Hier und Jetzt zu gewährleisten. Es wäre wenig dienlich, wenn wir einen alten Sinneseindruck ewig lang in unserem Sinnessystem speichern - vielmehr erfolgt die Speicherung nur etwa 0,25 Sekunden lang, bis die Information das Gehirn erreicht hat, dann muss der alte Sinneseindruck von einem neuen überschrieben werden, um die zeitgerechte Wahrnehmung der Umwelt und die rechtzeitige Wahrnehmung eventueller Gefahren sicherzustellen.

 

Vergessen “als Spamfilter”


Vergessen ist ein aktiver Prozess, der sich quasi wie ein Spamfilter über unsere Wahrnehmung legt und uns hilft, den Eindruck wahrzunehmen, oder die Erinnerung aufzurufen, die wir brauchen. Das Vergessen unterdrückt dabei den “Spam” in der jeweiligen Situation, also verwandte Eindrücke oder irrelevantes Wissen. Aber- könnte man jetzt einwenden - wir vergessen doch auch Dinge, die wichtig sind, wie zum Beispiel den Zahnarzttermin. Das ist richtig, denn es kann beim Prozess des Vergessen, wie übrigens auch beim Lernen - Stichwort maladaptives Verhalten, Sucht - dazu kommen, dass unserem Spamfilter Fehler unterlaufen und eine wichtige Information nicht richtig eingeordnet wird - vielleicht weil während wir den Zahnarzt Termin ausgemacht haben, zeitgleich ein anderer wichtiger Sinneseindruck (Türklingeln) unser System gestört und so die Speicherung und Trennung von Wichtig und Unwichtig durcheinander gebracht hat. 

 

Das “Synapsensterben” in jungen Jahren

 

Hirnorganisch gibt es für die Wichtigkeit von Vergessen auch ein eindeutiges Korrelat: das sogenannte “Synpasensterben” in der Pubertät: ein Erwachsener verfügt über deutlich weniger Synapsen - neuronale Verbindungen zwischen Nervenzellen - als ein Kind. Das Gehirn “vergisst” in der Entwicklung also bewusst Dinge, bzw. dünnt die Anzahl an Nervenverbindungen aus, um die Verarbeitung effizienter zu machen. Was nicht vernachlässigt werden sollte: das menschliche Gehirn und dessen exekutive Funktionen sind nicht unendlich, sondern in der Kapazität begrenzt - umso wichtiger ist es, die vorhandenen Strukturen und Speicherkapazitäten optimal auszunutzen und jene Dinge zu lernen, zu widerholen und zu erinnern, die für die geltenden Umweltbedingungen adaptiv sind.

Dabei sind ForscherInnen sich jedoch nicht einig, ob wir Gedächtnisinhalte, die wir vergessen wirklich verlieren, oder ob nur der Zugang zu diesen Inhalten erschwert wird. Spannend ist auch, dass wir Erinnerungen bei jedem Abruf verändern können - und dass es Erinnerungen gibt, bei denen dies nicht möglich ist. PatientInnen, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, können beispielsweise die traumatische Erinnerung, die in ihrem Gedächtnis wie schreibgeschützt gespeichert ist, nicht ohne weiteres verändern - auch der Spamfilter ist hier nicht immer aktiv - ein Trigger oder eine Assoziationen können Flashbacks auslösen, auch weil sich die Erinnerung an das Trauma - nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung von Amygdala und Angstgedächtnis - sehr tief in das Gehirn “einbrennt” und Inhalte, die mit der traumatisierenden Situation assoziiert sind, möglichst genau und nachhaltig gespeichert werden. Wie gut man sich erinnern kann, hängt also auch davon ab, wie gut man vergisst. 

 

Neurofeedback und das Erinnerungsvermögen - Theta-Aktivität lässt sich individuell trainieren


Ein Team von Experimentelle NeuropsychologInnen der Universität des Saarlands untersuchte in einer Studie mit 17 Probanden, inwiefern das Erinnerungsvermögen durch ein spezifisches Neurofeedback Training verbessert werden konnte. Unter Anwendung eines eigens entwickelten Neurofeedbacks Protokolls trainierten die Probanden durch visuelle Rückmeldung ihrer Gehirnaktivität, vermehrt Theta Wellen (4-8 Hz) zu produzieren, die durch vorangegangene Forschung mit entspannten Wachzuständen oder Flow-Erleben assoziiert werden. Zeigten die Probanden hohe Theta-Aktivität, nahm die Geschwindigkeit einer Achterbahn, die sie auf dem Bildschirm vor ihnen sahen; ein geringer Anteil von Theate Wellen führte dazu, dass die Achterbahn stillstand. Die Probanden trainierten in insgesamt sieben Sitzungen je 30 min über 11 Tage mit Neurofeedback; die 18 Probanden in der Kontrollgruppe erhielten während der Sitzungen Rückmeldungen über zufällig ausgewählte Frequenzen ihres EEG, eine Art Placebo oder Sham Neurofeedback. 

Während die Trainingsgruppe ab der dritten Sitzung deutlich mehr Theta-Aktivität zeigte (Theta-Zunahme von 10-15% je Proband), war bei der Kontrollgruppe kein Anstieg der Theta-Aktivität feststellbar. Die Autoren schlossen daraus, dass die Probanden mit ihrem Trainingsprotokoll lernen konnten, die Theta-Wellen hochzuregulieren; sich also die eigene Theta-Aktivität durch Neurofeedback-Training individuell trainieren lässt.

 

Erhöhte Ausprägung der Theta-Wellen zeigt Verbesserung der Gedächtnisleistung

 

Anschließend untersuchten die ForscherInnen die Auswirkung der erhöhten Theta-Aktivität auf das langfristige Erinnerungsvermögen. Probanden beider Gruppen lösten an drei verschiedenen Terminen - jeweils einen Tag nach dem ersten NFB Training, einen Tag nach der letzten NFB Sitzung und 13 Tage nach der letzten Sitzung, eine Gedächtnisaufgabe. In der Aufgabe wurde sowohl das Erinnerungsvermögen, als auch der Erinnerungskontext beachtet. Den ProbandInnen wurden 200 Wörter (zu jedem der 3 Testzeitpunkte wurden hier neue Worte gewählt) präsentiert, sie sollten jeweils angeben, ob dies Worte lebendige Objekte beschreiben oder ob sie ihnen angenehm erscheinen. In einem anschließend durchgeführten Gedächtnistest wurden die zuvor gelernten Wörter zusammen mit einigen neuen Wörtern präsentiert. Schätzten die Probanden ein Wort als zuvor gesehen ein, wurden sie gefragt, in welchem Kontext (also mit der Frage nach lebendig oder angenehm) es zuvor präsentiert worden war. 

Probanden, die zuvor das Neurofeedback Training erhalten und so die Ausprägung ihrer Theta-Wellen erhöht hatten, zeigten eine klare Verbesserung ihrer Gedächtnisleistung. Nach dem Neurofeedback Training konnten sie  mehr Worte wiedererkennen und dem richtigen Kontext zuordnen. Diese Verbesserung war nicht nur kurzfristiger Natur: auch bei Wiederholung des Tests 13 Tage nach der letzten Neurofeedback Sitzung konnte eine langfristige Verbesserung des Erinnerungsvermögens und des Erinnerungskontexts, registriert werden. Die individuelle Verbesserung in dem Gedächtnistest hing dabei mit der individuellen Zunahme der Theta-Aktivität im Neurofeedback Training zusammen. 


Zu beiden Testzeitpunkten nach dem Neurofeedback Training, insbesondere aber bei Testung 13 Tage nach der letzten Sitzung, erzielten Probanden der Trainingsgruppe absolut gesehen bessere Ergebnisse als Probanden der Kontrollgruppe, während die Ergebnisse im Pre-Test vergleichbar waren. Ein weiteres Indiz dafür, das bessere Erinnerungsvermögen der Trainingsgruppe auf die Effekte des Neurofeedback Trainings zurückzuführen. Diese Forschungsarbeit wurde mit jungen und gesunden Probanden durchgeführt, bildet jedoch die Grundlage, um zukünftig die Verbesserung des Erinnerungsvermögen durch Neurofeedback - möglicherweise auch mit anderen Verfahren als dem Theta-Frequenztraining-  an PatientInnen mit pathologischen Erinnerungsleistungen und Problemen mit dem Gedächtnis zu untersuchen. 


In jedem Fall legen die Ergebnisse nahe, die Möglichkeiten von Neurofeedback Training zur Verbesserung des Erinnerungsvermögens weiter zu untersuchen. Auch in aktuelle Behandlungen kann - bei entsprechend vorliegender Symptomatik - die Verbesserung des Erinnerungsvermögens als Behandlungsziel eingehen. 


Literatur: 
Studie:  Eschmann, K. C., Bader, R., & Mecklinger, A. (2020). Improving episodic memory: Frontal-midline theta neurofeedback training increases source memory performance. NeuroImage, 222, 117219. 

 

Wenn Sie noch mehr darüber erfahren möchten, warum wir vergessen, empfehlen wir Ihnen diesen Artikel von Spektrum.de