Neurofeedback in der Psychotherapie - Ein Interview mit Gernot Wührer
BEE Medic: Guten Tag, Herr Wührer. Vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit für ein Gespräch genommen haben. Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen und erläutern, was Ihre berufliche Tätigkeit umfasst?
Gernot Wührer: Mein Name ist Gernot Wührer, ich bin Diplom-Psychologe und Magister-Pädagoge. Ich arbeite seit 2019 in einer eigenen Praxis in München als Neurofeedback- und Verhaltenstherapeut mit Klientinnen und Klienten zwischen 3 und 85 Jahren. Außerdem bin ich als freiberuflicher Neurofeedback-Dozent für BEE Medic tätig.
BEE Medic: Wie sind Sie auf Neurofeedback aufmerksam geworden und was hat Sie überzeugt, es in Ihre psychotherapeutische Arbeit zu integrieren?
Gernot Wührer: Bevor ich 2019 meine Praxis eröffnet habe, war ich als Sozialkompetenztrainer für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Autismus-Spektrum-Störung tätig. Durch Erfahrungsberichte einiger autistischer Klientinnen und Klienten sowie die positiven Veränderungen, die ich bei ihnen beobachten konnte, bin ich auf Neurofeedback aufmerksam geworden.
Die Integration in die psychotherapeutische Arbeit begann damit, dass erwachsene Patientinnen und Patienten, die ursprünglich wegen Neurofeedback zu mir kamen, begannen während der Sitzungen über ihre Themen und Belastungen zu sprechen oder sich psychologisch beraten zu lassen. Die Sitzungen waren sehr produktiv, und die Ergebnisse so überzeugend, dass ich schließlich auch Patientinnen und Patienten, die ursprünglich wegen Psychotherapie zu mir kamen, ergänzend Neurofeedback empfahl – was von den meisten gerne angenommen wurde. Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass eine rege Unterhaltung mit Mimik, Kopf- und Augenbewegungen problemlos während einer Neurofeedback-Sitzung möglich ist. Dies ist eine Besonderheit des ILF-Trainings (ILF steht für Infra Low Frequency) und basiert auf der speziell entwickelten Hard- und Software von BEE Medic, die Störungen durch Bewegungen und Muskelaktivität zuverlässig herausfiltern kann.
BEE Medic: Welche spezifischen Beschwerden oder Patientengruppen profitieren in Ihrer Praxis besonders von Neurofeedback?
Gernot Wührer: Über die Hälfte meiner Patientinnen und Patienten haben die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung und sie profitieren in der Regel sehr davon, da ihr Gehirn meist in einem dauerhaft zu hohen Erregungszustand festhängt. Aber auch bei Klientinnen und Klienten mit Ängsten, traumatischen Erfahrungen, kognitiven Problemen oder Demenz kann Neurofeedback sehr hilfreich sein. Und nicht zu vergessen die Gruppe der Kinder im Vorschulalter mit Sprachentwicklungsstörung und ADHS-Problematik. Sie kommen zu mir über eine Kollegin, die als Logopädin überwiegend mit türkischen Kindern arbeitet.
BEE Medic: Wie unterscheidet sich Neurofeedback von anderen therapeutischen Methoden, die in der Psychotherapie eingesetzt werden?
Gernot Wührer: Neurofeedback wirkt direkt im Gehirn und dort sehr schnell. Sobald dem Gehirn ein ausgewählter Bereich der eigenen elektrischen Aktivität gezeigt wird, verbessert sich seine Selbstregulationsfähigkeit: Gehirnregionen, die zusammenarbeiten sollen, werden stärker vernetzt und das Erregungsniveau verschiedener Gehirnareale wird situationsangemessen besser eingestellt. Das erleichtert es den Patientinnen und Patienten, verhaltenstherapeutische oder kognitive Techniken im Alltag umzusetzen. ILF-Neurofeedback ist frei von jeglicher bewusster Anstrengung oder willentlicher Konzentration, da der Lernprozess des Gehirns automatisch und unbewusst abläuft.
BEE Medic: Welche Vorteile sehen Sie darin, Neurofeedback in Kombination mit Gesprächstherapie einzusetzen?
Gernot Wührer: Das Neurofeedback entfaltet eine sofortige Wirkung. Die Patientinnen und Patienten kommen in einen körperlich entspannten und geistig wachen Zustand, wodurch sowohl die lösungsorientierte Besprechung von Problemen als auch die Verarbeitung von negativen Erfahrungen erleichtert wird. Gerade der kreative Prozess des Findens neuer Lösungen für bestehende Probleme oder negativer Denkmuster wird durch Neurofeedback erleichtert. Das Gehirn wird aktiviert und neue neuronale Verbindungen und Netzwerke lassen sich leichter knüpfen.
BEE Medic: Wie erleben Patientinnen und Patienten diese Kombination und welche Rückmeldungen erhalten Sie?
Gernot Wührer: Patientinnen und Patienten, mit denen ich Neurofeedback und parallele Gesprächs- und Verhaltenstherapie durchführe, erleben das als angenehm und sehr hilfreich. Die Patientinnen und Patienten spielen relativ einfache Videospiele, wodurch das Neurofeedback stattfindet und sprechen dabei über ihre Themen. Auf diese Weise bleiben sie in einem entspannten Fokus und kommen beim therapeutischen Arbeiten in einen Flow-Zustand.
BEE Medic: Gibt es spezielle Fälle oder Beschwerden, bei denen die Kombination aus Gesprächstherapie und Neurofeedback besonders wirksam ist?
Gernot Wührer: Diese Kombination setze ich vor allem bei Jugendlichen und Erwachsenen ein. Mit Kindern finden zwar auch Gespräche statt, die durchaus eine therapeutische Wirkung entfalten, aber Jugendliche und Erwachsene arbeiten gezielter an ihren Themen und sprechen bewusster über belastende Situation oder Erfahrungen. Besonders wirksam ist diese Kombination bei Patientinnen und Patienten, die mit schweren Symptomen zu kämpfen haben, da der Leidensdruck und ihre psychischen Einschränkungen meist innerhalb von 5 bis 7 Sitzungen deutlich weniger werden. Die Therapiezeit kann effektiv genutzt werden, da in 50 Minuten quasi eine Doppelsitzung stattfindet.
BEE Medic: Wie hat sich Ihre therapeutische Arbeit verändert, seit Sie Neurofeedback in Ihren Praxisalltag integriert haben?
Gernot Wührer: Durch Neurofeedback können Patientinnen und Patienten entspannter und schneller therapeutische Fortschritte erzielen. Selbst die Bearbeitung tiefgreifender Symptome oder Probleme erfährt eine gewisse Leichtigkeit. Dadurch ist die Motivation während der Sitzungen höher, Patientinnen und Patienten spüren schneller positive Veränderungen, was wiederum förderlich auf die Therapiemotivation zurückwirkt. Auch für mich als Therapeut ist Neurofeedback eine große Bereicherung, da dadurch etwas Spielerisch-Leichtes in den Therapieprozess mit einfließt.